Konzept Bildungs- und soziale Herkunft


Hintergrund und Methodische Implikationen

Nicht nur international, sondern vor allem in Deutschland hängen Bildungsentscheidungen, Bildungserfolge und Bildungserträge wesentlich von der sozialen Herkunft der Personen ab (OECD 2016). Eine Aufgabe des Bildungssystems (und damit auch das Hochschulsystems) liegt in der Eröffnung eines fairen Zugangs zu (höherer) Bildung (Maaz 2017). Diese als soziale Gerechtigkeit oder Chancengerechtigkeit bezeichnete Herausforderung bedeutet für die Hochschulen, potenziell benachteiligte Gruppen zu identifizieren und ggf. Strategien gegen eine Diskriminierung dieser Gruppen vorzulegen. Eine Gruppierung erfolgt im Wesentlichen über Geschlecht, familiären Hintergrund, Migrationshintergrund oder spezifische Benachteiligungen (z. B. Behinderungen).
Für das Konstrukt familiärer Hintergrund existieren vor allem zwei Kategorisierungen, 1. Bildungsherkunft (v. a. kulturelles und soziales Kapital) und 2. soziale Herkunft (v. a. ökonomisches und soziales Kapital).

Bildungsherkunft

  • wird in einer einfachen Operationalisierung dichotom erfasst (akademischer Hintergrund), hier können Verfeinerungen der Operationalisierung vorgenommen werden (Zuordnung von Fachschule DDR, Ingenieurschule, Handelsakademie) oder Berücksichtigung beider Eltern). Unter Berücksichtigung statuserhaltender Strategien der Eltern (Boudon 1974) erscheint eine Erweiterung des dichotomen Schemas sinnvoll (sowohl innerhalb akademischer Abschlüsse: Uni, FH; BA, MA (perspektivisch), Promotion, als auch innerhalb beruflicher Abschlüsse (Aufstiegsfortbildung als Element tertiärer Bildung).
  • Eine Erweiterung der Herkunftskategorien mit internationaler Anschlussfähigkeit wird z. B. mit ISCED11 angestrebt, deren Erfassung für Eltern im Rahmen von Absolventenstudien jedoch unrealistisch ist, da teils sehr detaillierte Angaben erforderlich wären (z.B. Aufstiegsfortbildung <> 880 Std.). Alternativ dazu stellt die CASMIN Klassifikation (Comparative Analysis of Social Mobility in Industrial Nations) eine einfache und weitrechend vergleichbare Option der Erfassung elterlicher Bildungsabschlüsse dar: Die Zuordnung in neun Kategorien erfolgt in Abhängigkeit von schulischen und beruflichen Abschlüssen und kommt sowohl in vielen nationalen als auch internationalen Studien zum Einsatz (z. B. SOEP, NEPS, Mikrozensus, PIACC, etc.).
  • Eine Limitierung stellt CASMIN bei der Differenzierung von akademischen Bildungsabschlüssen dar. Hier sollte der Detailgrad der DZHW bzw. KOAB-Befragungen fortgeführt werden (Promotion, Habilitation). Dies ermöglicht eine Zuordnung zu ISCED (Level 8) und stellt eine sinnvolle Erweiterung der CASMIN-Klassifikation dar.

Soziale Herkunft

  • Die Erfassung der sozialen Herkunft zielt im Vergleich zu Bildungsherkunft auf Unterschiede in der Positionierung der Eltern im Beschäftigungssystem ab. Diese werden zumeist über den sozio-ökonomischen Status, Prestige oder die Zuordnung in soziale Klassen dargestellt. Für die Abbildung dieser Herkunftskategorien werden elterliche Angaben zur beruflichen Stellung, zur Leitungsfunktion und zum Beruf erforderlich.
  • Der sozio-ökonomische Status wird mit Hilfe der beruflichen Stellung und/oder der Berufsangaben der Eltern gebildet und ist national wie international anschlussfähig (ESeC (European Socioeconomic Classification), ISEI (International Socio-Economic Index of Occupational Status), SIOPS (Standard Index of Occupational Prestige Scale)). Gleiches gilt für die Bildung der Klassenlage über berufliche Stellung und Beruf (EPG – Erikson-Goldthorpe-Portocarero-Klassenschema) oder das berufliche Anforderungsniveau (KldB2010, ISCO08 – Klassifikation der Berufe). In der Sozialerhebung werden seit 35 Jahren soziale Herkunftsgruppen aus der beruflichen Stellung und den Bildungs- und Berufsabschlüssen der Eltern gebildet. Die entsprechenden Indikatoren sind so anschlussfähig an die Hochschulforschung (vgl. DZHW (2016)).
  • Umsetzung im AP2017: für die adäquate Abbildung der oben genannten Konstrukte sind zwei Neuerungen erforderlich (nicht an die bisherigen Instrumente anschlussfähig): 1. Die berufliche Stellung der Eltern ist analog zu den Demographischen Standards des Statistischen Bundeamts zu erfassen (Statistisches Bundesamt 2010), 2. die Berufsangaben zu den Eltern sind offen zu erfassen und nach der Klassifikation der Berufe der Agentur für Arbeit (KldB2010) zu vercoden.

Gütekriterien

In der international vergleichenden Mobilitäts- und Ungleichheitsforschung nimmt das EGP-Schema einen zentralen Stellenwert ein. Wie kaum ein anderes Konzept in der empirischen Ungleichheitsforschung, ist das EGP-Klassenschema zahlreichen theoretischen Diskussionen und – im nationalen wie internationalen Kontext – vielfältigen empirischen Anwendungen und Überprüfungen unterzogen worden. Das Schema ist theoretisch fundiert; die entscheidenden Dimensionen der Klassenpositionierung – Marktlage und Arbeitssituation – resultieren aus den unterschiedlichen Besitzverhältnissen und Möglichkeiten der Einkommenserzielung in Industriegesellschaften.

Die Stärke der EGP-Klassifikation als Analyseinstrument wurde sowohl durch Forschungsarbeiten zur Konstruktvalidität als auch zur Überprüfung der Kriteriumsvalidität bzgl. der theoretischen Grundlagen belegt (vgl. Brauns et al. 1997). Die Analysen bestätigen, dass Informationen zur ausgeübten beruflichen Tätigkeit, zum Beschäftigungsstatus sowie zu Kontroll- und Aufsichtsfunktionen als zentrale Indikatoren und Proxies die theoretisch postulierten Unterschiede zwischen Klassenpositionen in den Markt- und Arbeitsbeziehungen adäquat abbilden können.

Literatur

Boudon, R. (1974): Education, opportunity and social inequality: changing prospects in western society. New York: Wiley

Brauns, H., Haun, D. & Steinmann S. (1997): Die Konstruktion eines international vergleichbaren Klassenschemas (EGP). Mannheim: MZES

DZHW (2016): 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung: Fragebogen.
http://www.sozialerhebung.de/Service/download/21/soz_21_fragebogen_bi.pdf

Maaz, K. (2017): Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem. Bonn: Deutsche UNESCO-Kommission

OECD (2016): Education at a Glance 2016: OECD Indicators. Paris: OECD Publishing, DOI: http://dx.doi.org/10.1787/eag-2016-en

Statistisches Bundesamt (2010): Demographische Standards – Ausgabe 2010. Statistik und Wissenschaft Band 17. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt


Verwendete Indikatoren

Bildungsherkunft:

Schulabschluss der Eltern

Berufsabschluss der Eltern

Soziale Herkunft:

Berufliche Stellung der Eltern

Berufsbezeichnung der Eltern